Alexandra Leykauf im Gespräch mit Kathleen Rahn

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Alexandra Leykauf im Gespräch mit Kathleen Rahn

Berlin, 19. Februar 2010


Kathleen Rahn: Für Deine Filme, Collagen und Installationen verwendest Du gefundene Fotografien, die Du gefunden hast und die Du entweder kopierst oder abfotografierst und re-arrangierst. Wie findest Du die Bilder, die Du verwendest?

 

Alexandra Leykauf: Ich verbringe viel Zeit in Bibliotheken und in Archiven. Ich komme mit einer vagen Vorstellung, blättere Bücher durch und lese mich hier und da fest. Es sind nicht unbedingt die besten Bücher zu einem Thema, die mich interessieren. Oft sind es die überflüssigen Abbildungen, an denen ich hängen bleibe, oder Details, die nichts mit dem Wesentlichen zu tun haben. Beim Durchblättern entdecke ich ein Bild, das mich anzieht, ohne zu wissen, warum. Monate später erinnere ich mich wieder daran, und das Bild passt perfekt in eine Collage oder wird Ausgangspunkt einer ganzen Serie. Es hat wohl auch mit Intuition zu tun. Meine Intuition ist auf jeden Fall besser, als es meine Pläne und meine Vorstellungskraft sind. Suchen und Finden sind für mich zwei ganz verschiedene Kategorien. Manchmal suche ich nach einem bestimmten Motiv und bin enttäuscht, wenn ich es gefunden habe. Auf der Suche habe ich aber vielleicht ein Bild gefunden, das später, in einer anderen Arbeit seinen Platz findet.

 

KR: Gestern wurde beim Forum Expanded Dein Film „Uit De Bibliotheek Van Wolfgang Frommel“ (2009) gezeigt. Hier hast du das Quellmaterial des Ortes verwendest, an den Du eingeladen wurdest. Hier liegt es auf der Hand, dass Du Dich mit Bibliotheken beschäftigst. Passiert Dir das öfter, dass man Dich zu Projekten einlädt, um mit der Geschichte eines Ortes bzw. dem dortigen Material zu arbeiten?

 

AL: Nein, das war ein ganz neuer Rahmen. Der Dichter Wolfgang Frommel hinterließ eine etwa 2500 Bände umfassende Bibliothek, die 2009 aufgelöst wurde. Für den Film habe ich eine Auswahl von 200 Büchern so angeordnet, dass sich aus den Buchtiteln ein neuer Text ergibt. Die Bücher wurden nebeneinander auf ein Förderband gelegt, das sie in im Lesetempo von rechts nach links durch das Blickfeld der Kamera ziehen ließ. Einerseits beruht der Film auf meiner persönlichen Selektion und auf sich zufällig ergebenden Zusammenhängen. Er setzt sich über die Inhalte der Bücher hinweg, indem er deren Titel als frei verfügbaren Wortschatz benutzt. Andererseits spiegelt er die Persönlichkeit des Bibliotheksbesitzers, gewährt einen Einblick in seine Interessen und Vorlieben. Mit einer schon von einem anderen Sammler getroffenen Auswahl zu arbeiten, das gegebene Material also durch einen doppelten Filter zu sehen, war neu für mich. Es hat großen Spaß gemacht, mir den ersten Filter, also Wolfgang Frommel, dabei vorzustellen.

 

KR: Ein weiteres wichtiges Themenfeld, das in Deiner Arbeit auftaucht, ist der Bereich des Theaters, des Bühnen- und Zuschauerraums. Bei Deinen Recherchen hast Du Zeugnisse zahlreicher Theaterbrände gesammelt, die Du in verschiedenen Versionen benutzt hast. Die erzählte Geschichte, die „Scheinwelt“ verbrennt bzw. zerfällt hierbei zu in Schutt und Asche. Auffällig ist, dass Du Fotos auswählst, die aus einer relativ sachlichen Betrachterperspektive die Totale der Szenerie aufzeigen und wenig emotional sind. Die Ruine, die entsteht, wird in den Mittelpunkt gestellt und weniger eine Aktion derjenigen, die gegen das Feuer und vor allem das katastrophale Ereignis kämpfen.

 

AL: In der Realität ist der Brand eines Theaters sicher nur schrecklich. In der Kunst erfüllen sich durch ihn aber vielleicht gerade die Hoffnungen und Utopien, von denen du sprichst. Der Funke springt im wahrsten Sinne des Wortes über, im Moment der Zerstörung wird aus der Darstellung die Gegenwart des Zuschauers. Die Abbildungen sind einerseits Dokumente für eine Katastrophe, die sich in der Vergangenheit ereignet hat; die Entstehungszeit der Bilder lässt sich lesen. Die Totale finde ich meistens in älteren Aufnahmen. Andererseits zeigen sie den Moment, in dem die Theateraufführung den Status der Repräsentation durchbricht und mit dem Hier und Jetzt des Zuschauers zusammenfällt.

Ich wollte die Theaterbrände als Kulissen verwenden. Das Schauspiel findet vor den Kulissen statt, beziehungsweise im Ausstellungsraum, ian dem der Besucher Akteur und Zuschauer zugleich sein kann, es ist nicht schon in den Kulissen enthalten.

 

KR: Du baust oftmals Modelle aus Pappe und aufgeklebten Fotokopien und Fotos, die Du dann abfotografierst. Hierdurch ergibt sich eine Perspektivverschiebung. Auch für Deine Filme baust du solche Settings, so beispielsweise für „Filmriss“ (2006), bei dem Modelle mehrerer Theaterbrände auf einer Bühne aufgestellt werden, und schließlich ist das Verbrennen des Filmmaterials, mit dem diese Miniaturbühne gefilmt wurde, zu sehen.

 

AL: Das Ereignis des Filmrisses ähnelt dem des Theaterbrandes. Was passiert bei einem Filmriss im Kino? Die Zuschauer erleben die Zerstörung des Films auf der Leinwand und werden sich ihrer selbst im dunklen Zuschauerraum bewusst. Sie drehen sich zur Vorführkabine, zum Projektor, um. Es entsteht also auch ein neues Raumgefühl. Die Filmvorführung lässt sich als Umkehrung einer perspektivischen Zeichnung denken. Der Projektor fungiert als Fluchtpunkt und die Leinwand als Bildebene. Folgt man diesem Gedankenspiel, dann ist der Zuschauer im Bild gefangen, und der Filmriss befreit nicht nur die Schauspieler auf der Leinwand, sondern auch den Zuschauer.

„"Filmriss"“ ist ein Film über einen Filmriss. Er ist das Dokument eines unwiederholbaren Vorgangs, das Dokument einer sich selbst auflösenden Filmvorführung.

 

KR: Wir werden Zeuge des Verbrennens, der Destruktion.... …

 

AL: Zerstörung oder Befreiung? Um einen neuen Zustand zu erreichen, muss meistens erst der alte aufgelöst werden. Ob man dieses Erlebnis des Übergangs metaphysisch begreift oder nicht, es taucht ganz unterschiedlich versinnbildlicht auf. Sei es als göttliche Erleuchtung, als Eksxtase, als existenztielle Erfahrung im Krieg, oder als zerschnittene Leinwand.

 

KR: Der Betrachter wird Zeuge von einem Ende und einem Anfang. Gleichzeitig lässt Du den Zuschauer immer auch flanieren,  bzw. ordnest Deine Installationen so an, dass man darum herum geht, da Du die Filme auf die Rückseiten von Aufstellern projizierst und diese zu perspektivischen Kompositionen anordnest.

 

AL: Meine Arbeiten drehen sich um die Suche nach dem eigenen Standpunkt, dem Betrachterstandpunkt vor dem Bild, aber auch allgemein dem eigenen Standpunkt in der Welt. Vom Theater fühle ich mich angezogen, weil es eine kondensierte Form der Wirklichkeit ist. Wo befinde ich mich im Verhältnis zur Inszenierung, kann ich hinter die Kulissen schauen, oder bin ich auf einen Platz im Zuschauersaal festgelegt, wie verändert sich die Perspektive, wenn ich meinen Platz verlasse, hat der Raum außerhalb der konstruierten Realität des Theaterstücks oder Films auch andere Eigenschaften, was Zeit, Charakter und Bedeutung des Raums betrifft, gibt es ein direktes Erleben, eine unvermittelte Ansicht, eine Möglichkeit, die Repräsentation zu durchbrechen, und was bleibt, wenn die Repräsentation, also die an ein Medium gebundene Darstellung von einem bestimmten Inhalt, wegfällt?

 

KR: In Deinen Arbeiten zeigst Du oftmals Orte, Räume, die zum Abschweifen in andere Zustände und die für bestimmte Emotionen stehen, wie beispielsweise barocke Gartenanlagen.

 

AL: Geometrische Gartenanlagen haben für mich eher etwas Rationales. Sie sind begehbare perspektivische Zeichnungen und sie sind als Repräsentationsbühnen geplant. Wie jede andere Inszenierung auch, überzeugen sie, wenn der Betrachter einen idealen Blickpunkt einnimmt, und man kann deshalb die Macht dieser Inszenierung durch einen Perspektivwechsel brechen. Ein festgelegter Standpunkt erzeugt immer auch ein „"off"“, einen unsichtbaren Raum jenseits des Bildes. Es ist dieses Jenseits, das mich anzieht.

 

KR: Ein Fragen nach der Perspektive sehe ich in all Deinen Arbeiten. Zum Beispiel auch dadurchdarin, dass Du perspektivische Anordnungen aus mehreren Blickpunkten konstruierst oder Verborgenes, z.B. Farbiges, unter der schwarzen Oberflächenschicht wieder hervorholst. Welche Rolle spielen Schichtungen und Falten in Deinen Arbeiten? Wo kommt das her?

 

AL: Grundsätzlich interessiert mich das Verborgene in der Falte, oder eben die Raumkrümmung, das unbekannte Dahinter ...…

Angefangen hat es eigentlich während meines Studiums. Ich habe damals Bilder aus Büchern fotografiert, die über zwei Seiten gedruckt und deshalb unterbrochen wurden. Ein Teil des Motivs verschwindet in der Falte. Die Falte stört das Bild und zeigt die Oberfläche der Reproduktion, sie verhindert ein Eintreten in den Bildraum, indem sie deutlich macht, dass es sich um ein fotografiertes Buch und nicht um eine Landschaft handelt, aber in meiner Auswahl verändert und erweitert sie gleichzeitig das Motiv. Manchmal erzeugt die Falte einen verborgenen Ort, aus dem Details des Bildes zu kommen oder in den sie zu verschwinden scheinen, manchmal wirkt die Falte wie ein drastisches Kompositionselement.

 

KR: Das Zusammensetzen von Bildern finden wir in all Deinen Arbeiten, in den Posterheften, den Filmen, aber auch in dem vorliegenden Buch vor. Ähnlich der Eingangsfrage, würde mich auch hier interessieren, nach welchen Kriterien Du ausgesucht hast, welches Bild dem anderen folgt?

 

AL: Dieses Buch ist aus einer Diashow hervorgegangen, in der ich die einzelnen Bilder immer wieder neu sortiert und ausgetauscht habe. Die Reihenfolge der Bilder habe ich formal, aber auch assoziativ festgelegt, das heißt, bestimmte Formen wandern durch eine Abfolge von Bildern und durch die verschiedenen Epochen und Zusammenhänge, aus denen die Abbildungen stammen. Ich ordne aber auch Motive anh Hand ihres Inhalts einander zu. Ein Psychotest, bestehend aus einer Handvoll Holzdreiecken (die vom Probandten angeordnet werden sollten), steht neben den dreieckigen Segmenten eines gotischen Gewölbes, ein Denkmal von Walter Gropius neben einem Bühnenbild für „Rheingold“, eine Abbildung aus einem Papierbastelbuch kann aber auch neben einer von mir gefalteten Buchseite stehen, obwohl sich die Formen nicht ähneln.

Die Gesamtheit der Bilder sehe ich als Kaleidoskop, die einzelnen Facetten stehen gleichwertig nebeneinander und finden immer neue Anknüpfungspunkte. Es gibt keine Entwicklung, keine Erzählung, die zum Beispiel eine architekturhistorische Linie zeichnet. Das Bild des Kaleidoskops oder des Reigens trifft es wohl!

veröffentlicht in:

Alexandra Leykauf, Chateau de Bagatelle

Herausgeber:

Musée d'art Moderne de la ville de Paris, Galerie Martin van Zomeren,
Verlag für Moderne Kunst Nürnberg, 2010